Es tut nichts zur Sache

Ich weiß nicht, was ich sagen will. Nur, dass ich etwas festhalten muss, bevor es wieder verschwindet. Vielleicht schreibe ich deshalb: Um nicht zu vergessen. Oder aber um etwas zu ergründen, von dem ich nicht weiß, was es ist.
Wechseln wir die Perspektive:
Ein Mensch spaziert durch eine Allee. Es grünt, das Wetter ist schön. Es herrschen angenehme Temperaturen. Der Spaziergänger könnte eine Frau oder ein Mann sein - es tut nichts zur Sache. Während der Mensch einen Fuß vor den anderen setzt, mal hierhin und mal dorthin schaut, zwischendurch in die Ferne und dann wieder auf die eigenen Fußspitzen, kommt ihm dieser Gedanke.
Es tut nichts zur Sache.
In jedem noch so kleinen Detail liegt eine existentielle Fragestellung, an der es zu knabbern gilt. Die Alternative lautet, die Augen zu verschließen. Doch wer die Augen verschließt, stolpert. Der Mensch fällt, schürft sich das Knie auf und öffnet die Augen wieder. Es ist immer noch alles da, nur aus einer anderen Perspektive. Es tut immer noch nichts zur Sache. Er reibt sich das blutende Knie, flucht und setzt seinen Spaziergang fort. Niemand ist sonst unterwegs. Niemand war Zeuge dieses Sturzes, der sowohl Zweck als auch Sinnbild gewesen ist für etwas, das gleichermaßen frustriert und berührt.
Es tut gut, seinen Körper zu spüren. Es tut gut, das warme Blut zu fühlen, das das Bein hinabläuft und abstrakte Muster auf den weißen Schuhen hinterlässt. Ein Gefühl von Lebendigkeit, während des Saft des Lebens selbst aus dem Körper tritt.
Auch das tut nichts zur Sache.
Die veränderte Perspektive war von zu kurzer Dauer, zu flüchtig. Kaum war sie da, war sie schon wieder Vergangenheit. Was war nochmal? Ach ja, der Sturz. Richtig. Das Blut schon getrocknet, die Erfahrung fast schon vergessen. Sie wirkt jetzt wie ein fernes Flüstern aus einer vergangenen Zeit. Stattdessen ist da nur noch die grüne Allee, durch die es zu spazieren gilt. Die grüne Allee, in der niemand ist außer der Mensch.
Er legt den Kopf in den Nacken und lässt den Blick gen Himmel schweifen. Ein paar Wolken sind zu sehen, die, je länger er sie betrachtet, fantasievolle Figuren zu bilden scheinen. Die eine Wolke sieht aus wie ein Traum, den der Mensch einst hatte. Daneben eine andere Wolkenformation: Zeuge seiner Hoffnungen und seines Scheiterns. Eine weitere Wolke schiebt sich ins Bild und zeigt ihre hässliche Fratze in Form von Ängsten und Sorgen. Es ist zu viel, alles zu viel. Die Sonne blendet.
Woher stammen die Träume? Woher die Hoffnungen, die Ängste, die Sorgen? Wer war für das Scheitern verantwortlich? Der Mensch hadert mit seinen Händen, weiß nicht, wohin er sie tun soll - zum Herzen oder zum Kopf. Sie hängen stattdessen wieder herab und schwingen leicht, denn er ist nur ein Mensch, der einen Fuß vor den anderen setzt.
Es tut nichts zur Sache.
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